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Abgeschnitten- Eingebunden

Abgeschnitten – eingebunden

Ein Kunstprojekt zwischen der JVA und der Woltersburger Mühle gibt zu bedenken

Offiziell eröffnet wird zwar erst im Juni, aber jetzt war schon mal Probestehen. Wie bei Opernbällen oder königlichen Hochzeiten üblich. Um beim Bild zu bleiben: Glanzvoll haben es die Menschen, die sich jetzt an der Realisierung der beiden Plastiken beteiligten, nie gehabt. Sie waren oder sind »abgeschnitten« – so der Titel - von gesellschaftlicher Teilhabe, von Kontakten, von Arbeit, von der Möglichkeit auch, sich frei zu bewegen.

Es handelt sich um Insassen der JVA Uelzen und Arbeitslose, die sich an der Wolterburger Mühle zurzeit in einer Beschäftigungs-»Maßnahme« oder Qualifikation befinden Es klingt nach einer seltsamen Paarung, aber der Absicht nach »gemeinsamer pädagogischer Aktivität«, wie Gerard Minnaard es nennt und für die JVA-Leiterin Sabine Hamann sofort zu begeistern war, verschloss sich letztlich niemand. Sponsoren fanden sich übrigens unter anderem aus der Nachbarschaft, in Betrieben des Breidenbeck, was Hamann besonders erfreulich findet.
Auf die Frage nach dem Gemeinsamen von Gefangenen und Woltersburger-Mühle-Jugendlichen kommt die Antwort der Anstaltsleiterin sofort: »JVA und Mühle passen insofern zusammen, weil es Menschen sind, die kleine Schnittmengen haben, die eventuell sogar beide Einrichtungen kennen, die temporär `abgeschnitten` sind von dem, was Leben ausmacht.«

Die Skulptur aus zwei Teilen entstand in der Werkstatt der JVA in Zusammenarbeit von rund zehn Teilnehmern inklusive Künstler. Der Entwurf stammt aus der Werkstatt von Michael Hitschold (* 1970). Hitschold arbeitet bei Werkhaus Bad Bodenteich, ist aber ausgebildeter Musik- und Kunsttherapeut und ambitionierter Plastiker. Nebenbei: Bei der »Ersten Regionale« in der Mühle im September war er unter den ausstellenden Künstlern.
Mehrere Modelle habe er gebaut, sagt der 42-Jährige, nach seiner Idee zum Thema befragt. Herausgekommen sind zwei halbe symbolische Rippenbögen am Rückgrat. Halb liegend – liegt der Mensch zerstört am Boden? Im Aufrichten begriffen – schafft er es, nach biografischen Brechungen, nach Tiefschlägen wieder aufzustehen?
Stünden beide Teile zusammen, ergäben sie die perfekte Harmonie. Wie Yin und Yang.
Energetisch absolut ausgeglichen. Aber die zwei Teile werden auseinander gerissen und eins an der JVA, das andere auf dem Mühlengelände aufgestellt.

»Es ist ja so vieles gespalten in der Welt«, sagt Michael Hitschold, auf das Oben und Unten, Arm und Reich, auf Ungerechtigkeit und die soziale Schere in der Gesellschaft anspielend. Das »Abgeschnitten«–Sein der betroffenen Menschen, die andere oft gedankenlos zu »Loosern« stempeln, aber auch ihre Würde, die sie zu bewahren suchen, und der Kampf um Re-Integration – das wollen die zwei Skulpturen erzählen. Das ist der seelische Kern, der figurativ gebändigt in Edelstahl steht. Weil Kunst immer auch ein Spiegel der Gesellschaft ist. Sein soll. [Barbara Kaiser]

Barftgaans, Ausgabe 05/06 2013

http://barftgaans.de/index.php/abgeschnitten-eingebunden

Artikel-Informationen

erstellt am:
31.05.2013
zuletzt aktualisiert am:
21.06.2019

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